Anerkennung? Nein danke. - Wir arbeiten ja für den guten Zweck.

11. Mai 2025 durch
Anerkennung? Nein danke. - Wir arbeiten ja für den guten Zweck.
Admin Verbandsführung

Lassen Sie Ihre Mitarbeitenden und ihr Engagement unsichtbar bleiben.

Das ist effizient. Schlicht. Und wirkt souverän. Warum sollten Sie sich mit der Sichtbarkeit anderer aufhalten, wenn Sie mit Ihrem eigenen Kalender kaum hinterherkommen? Gute Arbeit erkennt man daran, dass sie einfach funktioniert. Dass sie nicht auffällt. Dass niemand sie loben muss. Wertschätzung durch Stille – das ist die höchste Form des Vertrauens.

Gerade in Non-Profit-Organisationen liegt das nahe:

Wer hier arbeitet, tut das aus innerer Überzeugung. Die meisten haben einen Arbeitsvertrag – aber in Wahrheit sind sie da, weil sie etwas Sinnvolles bewirken wollen. Dieses Engagement ist selbstverständlich. Wir alle geben unser Bestes – jeden Tag. Und genau deshalb wäre es falsch, Einzelne hervorzuheben.

Denn damit schwächen Sie das Wertvollste, das eine Organisation haben kann: ein funktionierendes Kollektiv. Individuelles Sichtbarmachen zerstört leicht die Balance. Wer wann und wie ins Licht gestellt wird, wird plötzlich zur Frage.

Und was, wenn Sie versehentlich die Falschen hervorheben? Wer ebenfalls Grossartiges geleistet hat, sich aber nicht gesehen fühlt, lernt schnell: Einsatz lohnt sich nur, wenn er auffällt.

Das ist gefährlich. Und es wirkt sich auf die künftige Leistung aus.

Also: Schweigen Sie lieber. Und wenn überhaupt, dann loben Sie das ganze Team – neutral, dezent und ohne Namen. So bleibt das Gleichgewicht gewahrt. Und Sie ersparen sich unnötige Konflikte.

Zeigen Sie Führungsstärke, indem Sie gar nicht loben – zumindest nicht sichtbar.

... und warum dennoch das Gegenteil wichtiger ist

Neulich begegnete ich einer älteren Frau vor dem Postomaten. Sie wirkte unsicher, stand still, ein bisschen verloren. Ich fragte vorsichtig, ob ich helfen könne – sie nickte dankbar, und wir gingen gemeinsam zur Poststelle. Dort stellte sich heraus, dass sie dreimal den falschen Code eingegeben hatte. Die Karte war eingezogen worden. Sie würde am nächsten Tag zur PostFinance gehen müssen.

Nichts Weltbewegendes. Und doch: Ich war froh, nicht einfach weitergelaufen zu sein. Sie war sichtbar geworden. Nicht weil sie laut war – sondern weil ich genauer hinsah.

Und dann erinnerte ich mich an die Surprise-Verkäufer:innen, die ich so oft sehe – aber früher manchmal einfach ignoriert habe. Nicht weil ich gegen sie war. Sondern weil ich keinen Kontakt wollte. Kein Gespräch. Keine Zeitschrift. Kein schlechtes Gewissen. Ich wich ihrem Blick aus, damit ich nicht reagieren musste.

Und ich frage mich heute: Wie oft machen wir das auch im beruflichen Alltag?

Auch in Non-Profit-Organisationen, wo Menschen aus Überzeugung arbeiten, ist Sichtbarkeit kein Selbstläufer. Oft gehen wir davon aus, dass Engagement einfach dazugehört – dass alle freiwillig über sich hinauswachsen, weil ihnen die Sache wichtig ist. Und oft stimmt das.

Aber diese Selbstverständlichkeit ist gefährlich.

Auch bei uns im ZfV sehe ich, wie Teammitglieder grosse Verantwortung übernehmen, mitdenken, aushelfen, einspringen – nicht aus Zwang, sondern weil sie das grosse Ganze im Blick behalten wollen.

Manchmal aber auch auf Kosten der eigenen Balance.

Und genau hier beginnt unsere Verantwortung – nicht als Führungskraft, sondern als aufmerksames, empathisches Teammitglied. Gerade in einer soziokratisch organisierten Struktur, in der Verantwortung verteilt ist, braucht es umso mehr Achtsamkeit dafür, wann jemand zu viel trägt, zu oft einspringt, zu still leidet.

Denn so paradox es klingt:

Wenn sich jemand über das System hinaus engagiert, Ressourcen aufwendet, die gar nicht da sind, dann gefährdet das nicht nur diese Person – sondern auch die Integrität des Systems.

Was kurzfristig als Mehrwert für eine Organisation oder einen Kunden erscheint, kann langfristig zu Schieflagen führen. Energie, die ungesehen verpufft, fehlt woanders. Erwartungen wachsen ins Unausgesprochene. Und irgendwann wird aus gesundem Engagement eine stille Überforderung.

Sichtbarkeit heisst nicht: auf die Bühne zerren.

Sondern: wahrnehmen, spiegeln, Rahmen achten.

Denn das ist die Herausforderung – in selbstorganisierten Teams genauso wie in klassischen hierarchischen Organisationen:

Mitgestalten, ohne auszubrennen. Verantwortung übernehmen, ohne sich zu verlieren. Freiraum leben – und gleichzeitig Systemgrenzen respektieren.

Wir müssen nicht alle ständig leuchten. Aber wir sollten einander hin und wieder ins Licht rücken – wenn es stärkt, wenn es entlastet, wenn es das Ganze schützt.

Sichtbarkeit ist kein Luxus. Sie ist Fürsorge. Systempflege. Und gemeinsame Verantwortung.

Lasst uns anfangen, genauer hinzuschauen.

Anerkennung? Nein danke. - Wir arbeiten ja für den guten Zweck.
Admin Verbandsführung 11. Mai 2025
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