Oft ist das Rad schon erfunden

Der erste Teil dieser Knowhow-Transfer-Kolumne handelte davon, wie das Wissen und Können einer Person mit Knowhow in der Organisation erhalten bleiben kann, wenn sie die Organisation verlässt. Das ist ein häufiger, indes nicht der einzige Fall, bei dem sich die Frage stellt, wie man Knowhow von einer Person zu einer anderen transferiert (die Methoden und Voraussetzungen sind die gleichen - siehe Kasten). Anders gefragt: Wie kann ein erfundenes und bewährtes Rad innerhalb der Organisation weitergegeben werden und andernorts zum Rollen kommen?

Ein solcher anderer Fall ist etwa, wenn ein Knowhow von einer Ecke der Organisation in eine andere übertragen werden soll, damit ein bereits erfundenes Rad nicht nochmals erfunden wird. Oder wenn eine gelingende Praxis einem Team auf andere Teams übertragen und so verbreitet werden soll. 

Wie das geschehen kann, sei an zwei Beispielen illustriert:

1. Beispiel: Das japanische Büro von «Pink Liberty» (Name von der Redaktion geändert) möchte ein Grossspender-Programm aufbauen. Die zuständige Person in Japan fragte sich zuallererst, wo es in der Organisation ein solches Programm bereits gibt. Fündig wurde sie bei «Pink Liberty» Grossbritannien, die seit vielen Jahren ein erfolgreiches Major Donor Programm betreibt. Knowhow-Trägerin ist die altgediente Fundraiserin Paula. Sie ist bereit, ihr Knowhow an ihre japanische Kollegin Hisayo weiterzugeben, damit diese in Japan ein ähnliches Programm aufbauen kann. Hisayo geht dafür für drei Wochen nach London und schaut Paula während dieser Zeit über die Schultern und assistiert ihr. Paula arbeitet wie gewohnt, arrangiert allerdings einige Lerngelegenheiten im voraus. Sie investiert indes unter dem Strich kaum extra Zeit, denn sie bekommt mit Hisayo eine professionelle Fundraiserin als «Assistentin» zur Seite. Diese erlernt das spezifische Knowhow in 3 Wochen - mit 6’000 Franken Kosten für Reise und Unterkunft. Und seit nun das Programm in Japan läuft, war diese Investition bald und um das zig-Fache wieder eingespielt. 

Shadowing – die Methode der Wahl

Die beschriebene Methode heisst ‘Shadowing’, dessen Grundprinzip ist, dass die Knowhow-Trägerin ‘ganz normal arbeitet’ und der/die Knowhow-Suchende ihr dabei wie ein Schatten folgt und ihr zudient: Learning-by-observing-and-assisting. And by reflecting, denn am Ende des Arbeitstages wird über diesen ausgetauscht. Die Methode ist einfach, doch es bedarf einer guten Vorbereitung und vor allem eines von Anfang an mitgeplanten Follow-ups.

Zum Beispiel muss im voraus festgelegt werden, welche Teile des Knowhows mit Shadowing transferiert und welche Möglichkeiten für das Einüben geschaffen werden können. Und am Ende des Shadowings ist festzulegen, welchen Support es für die Umsetzung in die Praxis back home braucht (Tools dafür im Kasten). Shadowing ist eine Art Praktikum, das auch Mehrwert für die Mentorin bringt, indem sie z.B. Würdigung für ihr Können erfährt und eingefahrene Routinen durch die Fragen der Lernenden reflektieren kann. Oder diese kennt etwas Neues, was der Routinierin entgangen war und so nun kennenlernt. Es ist eine Lernzeit für beide. 

Nützlich ist übrigens auch das Umgekehrte – das Mirroring: Der Neuling probiert das Gelernte aus, die Könnerin beobachtet ihn dabei und gibt Feedback

 

Aus der Praxis für die Praxis an einem anderen Ort

2. Beispiel: Die nicaraguanischen Solarfrauen haben während 15 Jahren ein umfangreiches Knowhow in Solarkocher, Solardörrer sowie im biologischen Gartenbau aufgebaut. Weil ihre Praxis funktioniert und ihnen viel Genugtuung und eine Perspektive gibt, bieten sie an, ihr Wissen und Können an andere (Frauen-) Gruppen weiterzugeben. Sie haben vorletztes Jahr unter anderem eine Anfrage von fünf Frauengruppen aus Guatemala erhalten, und der Transfer geschah wie folgt:

  • Die Gruppen in Guatemala wurden vorab schriftlich darüber informiert, welche Arten von Knowhow sie erwerben können. Weil einiges aus dem Angebot passte, haben sie je zwei Multiplikatorinnen nach Nicaragua zum Lernen entsandt.
  • Im Lernzentrum der Nicaraguanerinnen wurden die zehn Guatemaltekinnen während einer Woche in die Praxis aller Techniken eingeführt. Sie bekamen so einen konkreten Zugang zu jeder Technik, um entscheiden zu können, welche davon sie zuhause umsetzen wollen. 
  • Wenige Monate nach dem Einführungskurs reisten drei nicaraguanische Knowhow-Trägerinnen nach Guatemala. Drei der fünf Gruppen organisierten einen ersten Weiterbildungskurs, der nun vor allem von den Nicaraguanerinnen geleitet wurde. Die in Nicaragua ausgebildeten Multiplikatorinnen assistierten dabei und lernten so praxisnah das Weitergeben der Technik – eine Form des Shadowings.
  • Nun fühlten sich diese Multiplikatorinnen bereit, die ausgewählte(n) Technik(en) selber weiterzugeben und erste Projekte umzusetzen. 
  • Bei Schwierigkeiten oder Fragen melden sie sich bei den Mentorinnen in Nicaragua, um via Chat oder Telefonat Unterstützung zu bekommen.

Seit Beginn dieses Transfer-Projekts PICEMS (‘Proyecto de Intercambio de Conocimientos entre Mujeres del Sur) vor fünf Jahren ist in über 30 Organisationen in Nicaragua, Honduras, Guatemala und Costa Rica Knowhow aufgebaut und multipliziert worden. Die Gelingensfaktoren sind die Praxisnähe sowie dass der Transfer nach dem Training durch Shadowing und Mentoring sicher gestellt wird (und wie den Transfer messen, siehe Blog). 

Solches Knowhow kann nicht mit einer PDF-Gebrauchsanweisung übertragen werden; vielmehr gilt wie beim Sport: üben, üben, üben. 

Ein weiterer Gelingensfaktor ist das Prinzip “Lernen von Seinesgleichen”: Die nicaraguanischen Frauen standen vor 15 Jahren selber an der Stelle, an der die Guatemaltekinnen zu Beginn des Transfers standen. Sie konnten sich also einerseits gut in ihre Situation einfühlen und andererseits waren sich die Guatemaltekinnen sicher, dass sie diese Techniken lernen können, weil es ihre Compañeras aus Nicaragua ja auch gekonnt hatten.

Es gibt viele gute Beispiele von Knowhow-Transfer zur Vermeidung von Rad-Neuerfindungen. Zum Beispiel in ‘Communities-of-Practice’ (CoP), früher Erfahrungsaustauschgruppen genannt, in welchen gelingende Praxis vorgestellt und Tools zur Verfügung gestellt werden. Allerdings sind funktionierende CoPs innerhalb von Organisationen noch eher Ausnahme denn Regel. So jedenfalls meine Wahrnehmung. Das Gefühl scheint weit verbreitet, keine Zeit fürs Lernen von anderen zu haben oder zu meinen, PDFs und Links zu teilen, genüge.

Oder man hält ‘neu’ für ein Synonym von ‘gut’ und beginnt, ohne sich gross umzuschauen, Knowhow neu aufzubauen (oft getrieben vom Gefühl, einfach etwas machen zu wollen). Gewiss, bestehendes Knowhow muss kritisch begutachtet werden. Was davon relevant ist, ist eine wichtige, nicht einfach zu beantwortende Frage. 

Die zweite, manchmal knifflige Frage ist, wie entschieden wird, was eine gute Praxis ist, und die es deshalb verdient, verbreitet zu werden. Wie immer das getan wird, als Leitprinzip gilt Nachfrage vor Angebot: Es muss ein Lernbedürfnis bestehen, d.h. die potenziellen Empfänger:innen wollen dieses Knowhow wirklich erwerben. Ein mögliches Lernbedürfnis z.B. mit Coaching zu explorieren oder zu wecken, ist zwar hilfreich, doch letztlich geht ein Transfer nur, wenn Empfangsbereitschaft besteht. 


PS: Um noch die Gretchenfrage, kann denn Knowhow überhaupt 1:1 übertragen werden, zu beantworten: Natürlich nicht, es braucht stets Anpassungen – ans Umfeld, an die Umstände und an die Persönlichkeit, von der personengebundenes Knowhow stark abhängt. 

Und das ist vermutlich gut so: ein Transfer-Klon wäre langweilig. Ein Teil des Rades muss stets selbst erfunden werden, was Raum für Gestaltung bietet und Ownership ermöglicht. 


Einige Vorlagen, Instrumente und Literatur

Shadowing plus – “Learning Place”

PICEMS – Knowhowtransfer von nachhaltigen Alltagstechniken (S, E)

Voraussetzungen und Methoden zum Verbreiten und Zurückbehalten von Knowhow

  • Unabhängig davon, ob ein Knowhow von der Abgängerin zum Nachfolger oder vom Knowhow-Träger i ein anderes Team übertragen wird, braucht es einige Grundabmachungen und Einrichtungen, damit das Wissen und Können einer Organisation zugänglich ist:
  • Wissensmanagementsystem mit neben dem Üblichen wie Leitfäden zu Prozessen, Kontakte, Vorlagen, Show Cases etc.  und den nötigen Inhalten, inklusive Schulungskurse, Interviews, um Geschichten, Anleitungen und Tipps gesondert und gut zugänglich zu sammeln nach dem Motto: “nicht den Heuhaufen präswteiren, sondern die Stecknadeln sichtbar machen”.
  • Knowhow-Lankarten erstellen: Was ist wo da (wieveile Knowhow-Träger:innen) , welche Lücken bestehen? Welche Abläufe bestehen zum Detektieren und zum Mappen, welche Beschränkungen bestehen?
  • Mit Mentoring und Job Shadowing Knowhow gezielt verteilen, Übergabeworkshops regelmässig durchführen.
  • Eine Alumni-Community für ehemalige Mitarbeitende aufbauen und die Alumnis beim Knowhow-Gardeing einspannen. 
  • Teilen: Wer die Organisation verlässt oder über Kernknowhow verfügt, gibt Dokumente, Erkenntnisse, Netzwerk, Tipps, Tricks und Techniken weiter udn legt zusa,mmen mit der Nachfolge, diese Dokus ab - hier eine Checkliste, wie man das tun kann. 
  • Prozesse definieren, um gewonnene Erkenntnisse, bewährte Praktiken und Ergebnisse weiterzugeben (best practice shadowing)
  • Peer-Learning: alle aus einem Fach- oder Methodengebiet zusammenschließen (CoPs).
  • Interne Netzwerk: Wichtigste Verbindungsglieder und Anlaufstellen und Kanäle, die getaggt, gespeichert sind und durchsucht werden können.
  • Dokumentensammlung: nicht als Friedhof sondern selektioniert best-of-Sammlung

Literatur

  1. “Austausch impliziten Erfahrungswissen”, Stephanie Porschen, Verlag für Sozialwissenschaften (2009), darin Kapitel D “Kooperativer Erfahrungstransfer” S. 183 ff
  2. “Knowledge Gardening – Wissensarbeit in intelligenten Organisationen”, Gabriele Vollmar, W. Bertelsmann Verlag, 2007


Oft ist das Rad schon erfunden
Kuno Roth 22 octobre 2025
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